Tri-Force Athleten auf Abenteuerkurs im norwegischen Lysefjord

Ein (Ultra-)Marathon mit 4444 Stufen

Alles begann mit einem Traum in der Rhön: Die beiden Tri-Force Athleten Peter Leinweber und Verena Tobert waren sich nach ihren hiesigen SwimRun-Trainings einig: Es braucht eine neue Herausforderung. Geprägt von der rauen Rhön waren die beiden fasziniert von der imposanten norwegischen Fjordlandschaft, den Bergen und der wilden Natur. Zum 10-jährigen Jubiläum der Veranstaltung wurde die original „ROCKMAN“-Strecke von 2014 wiederbelebt. Ursprünglich wurde diese nämlich nach der ersten Austragung stark verkürzt und vereinfacht, da sie als zu hart eingestuft wurde. Die insgesamt etwa 52 km lange Strecke gliederte sich grob in 6 km Schwimmen und 46 km Laufen mit rund 3.500 Höhenmetern in mehreren Abschnitten. Bekannte Sehenswürdigkeiten wie der Preikestolen und der Kjerag Bolt, beides alpine Aussichtspunkte, sowie die Fl∅rli Treppe mit ihren 4444 Stufen galt es zu erlaufen. Es gab wenige, wichtige Regeln und ein gewisses Maß an Pflichtequipment. Was mit an den Start genommen wird, muss mit ins Ziel gebracht werden. Jeder Teilnehmende benötigt neben einem Neoprenanzug auch eine wasserdichte Regenjacke, Regenhose, Mütze und Handschuhe, Trinkflasche, Verbandszeug und eine Stirnlampe. Start nur im Zweierteam. Immer den Markierungen folgen und aufeinander Acht geben. Move on. Move on. Move on.

Genuss-Schwimmen im 12°C-kalten Fjord

Was das im Klartext bedeutete? An den ersten drei Verpflegungsstellen gab es kein Trinkwasser. Man sollte schließlich selbst etwas dabeihaben bzw. konnte man sich durch Quellen und Wasserfälle versorgen. Aus Sicherheitsgründen setzte der Veranstalter klare Zeitlimits, bis wann die Teilnehmenden an bestimmten Punkten angekommen sein mussten. Leinweber und Tobert hatten sich bereits im Vorfeld einen Überblick verschafft und ihre Strategie klar ausgetüftelt. Der Start erfolgte früh morgens um 06:00 Uhr. Direkt am Start wurden rund 1.000 m durch einen klaren Bergsee geschwommen und über technische Trails der erste Aussichtspunkt erreicht. Die beiden Tri-Forcer standen bereits vor 8 Uhr auf dem Preikestolen und genossen den Ausblick in die Tiefe und über den Fjord. Schwindelfrei zu sein war von Vorteil. Nach diesem ersten Highlight der Strecke ging es wieder in Richtung Wasser. Tobert strauchelte am glitschigen Baumstamm und löste den unvermeidbaren Sturz mit einem Salto vorwärts. Kurzer Schreck –  aber nichts passiert. Es ging erneut über sehr technische Trails und einem 500 m Schwimmen durch den nächsten klaren und kalten Bergsee, hinunter zum Fjord. Eine kurze Verpflegung am kleinen Bootsanleger und ein Sprung ins 12°C kalte Nass. Schwimmen entlang der Klippe. Für die beiden Outdoorfans war dieser Abschnitt einer der schönsten der gesamten Strecke. Bei strahlendem Sonnenschein mit langen, ruhigen Zügen ging es durch das erfrischend kühle Salzwasser aufwärts in Richtung Lysebotn. Die Beine hatten die Gelegenheit sich von den ersten Anstrengungen zu erholen. Über den Athleten thronte das imposante Felsmassiv des fast senkrecht aufsteigenden Fjordfelsens. Im Wasser tummelten sich einige kleine Quallen in sicherer Entfernung. Ein Tri-Force SwimRun Mixed Team im Flow.

„Tourist Trail“ – oder besser „Klettersteig“ ?

Lange sollte die Idylle allerdings nicht bestehen bleiben, denn frei nach dem Veranstaltungsmotto #itwasnevermeanttobeeasy stand als nächstes der sog. „Beach-Sprint“ an. Ein etwas anderer Sprint, denn der Trail lief ironischerweise über ein etwa 2 km langes Geröllfeld immer direkt am Fjordufer entlang. „Ein bisschen wie der Schafstein“, erklärt Leinweber, „nur sind die Steine größer und der Hang ist viel steiler“. An einigen großen und steilen Felsen befand sich abschnittsweise eine Stahlkette zur Sicherung. In Norwegen war das der „Tourist Trail“, in Deutschland nennen wir so etwas „Klettersteig“. „Es ist vor allem eine mentale Herausforderung, wenn die Zeit drängt und man einfach nicht vorankommt“, ergänzt Tobert. „Also: Move on. Move on. Move on.“ Nach einer kleinen Durststrecke und einem Trab bergauf über den „Sunshine Hill“ fanden sich die beiden erneut am Fuße des Fjords wieder. Ausgestattet mit einer kleinen Boje, um von Booten gesehen zu werden, galt es nun den 1.750 m breiten Fjord einmal zu durchqueren. Die Herausforderung des „Fjordcrossings“ bestand dabei auf mehreren Ebenen. Bei 12°C Wassertemperatur drohte bei einer langen Schwimmzeit in der dünnen Neoprenkleidung mit der Dauer eine Unterkühlung. Durch Gezeiten, Schiffsverkehr und Wind bestand ein zuvor unberechenbares Maß an Wellengang. Die Strömungen im Fjord kosteten Kraft, Zeit und Energie. Was beide ebenfalls in der Vorbereitung auf das Rennen erfuhren: Der Fjord ist an seiner tiefsten Stelle etwa 500m tief. Nichts für schwache Nerven.

Der Waffelmann

Ein Kinderspiel war es also nicht, aber Leinweber und Tobert schafften es in weniger als einer Stunde ans andere Ufer. Dort stand tatsächlich ein Helfer am Waffeleisen und jedes Team bekam frische Waffeln, Suppe und Cola als schnelle Energielieferanten, um die zum Teil zitternden Athleten wieder warm zu kriegen. Tobert und Leinweber trafen immer wieder auf andere Teams, tauschten sich aus und spornten sich an.  Es starteten insgesamt 49 Teams aus 19 Nationen, die beiden Tri-Forcer waren allerdings das einzige deutsche Team. Direkt nach dem Fjordcrossing wurden in der „Equipmentzone“ nun die zusätzliche Ausrüstung aufgenommen; ein Trailrucksack pro Starter mit Regenbekleidung, Handschuhen, Mütze und auch einer vorgeschriebenen Stirnlampe. Der Neoprenanzug blieb am Körper. Die Zusatzausrüstung war notwendig, da es ab dem „Waffelmann“ keine weitere Verpflegung oder Unterstützung von außen geben sollte. Außerdem gab es von nun an im Falle eines Unfalles nur noch zwei Wege hinunter von Berg: Zu Fuß oder per Helikopter.  Es galt es zunächst Norwegens längste Holztreppe, die Fl∅rlitrappene, mit ihren 4.444 Stufen zu absolvieren. Eine sehr schmale Treppenanlage zu Wartungszwecken einer alten Wasserkraftanlage. Die Treppe sorgte für eine neue Herausforderung. Nach der Unterkühlung (trotz Neoprenanzug) folgte die Überhitzung (im Neoprenanzug). Die Athleten waren zu diesem Zeitpunkt bereits etwa 9 Stunden auf der Strecke. Sie blieben dem Credo treu: Move on. Move on. Move on.

Norwegischer Sommer – Schnee im Juli

Gleich am Ende der Treppe wurden alle Teilnehmer mit einem Schwimmen im eiskalten Bergsee wieder runtergekühlt. Der Trail Rucksack musste für die Seequerung wasserdicht verpackt und beim Schwimmen als Boje nachgezogen werden. Mehrere Teams waren dicht beisammen. Über die letzten 20 Kilometer veranlasste der Veranstalter aus Sicherheitsgründen, dass von nun an größere Gruppen gebildet wurden. Tobert und Leinweber absolvierten diese Strecke gemeinsam mit einem schwedischen Mixed Team. Sie durchquerten teilweise hüfthohen Schlamm, überwanden unzählige Felsen und wateten durch Flüsse. Dieses Hochplateau und die raue Landschaft faszinierten in einem besonderen Abendlicht. Überraschenderweise kam es dann zu einem Wettersturz mit heftigem Regen und zum Teil Hagel. Am Ende des Tages war allen klar, warum es eine Pflichtausrüstung trotz Neoprenanzug gab. Das Ziel, ein Aussichtspunkt namens „Eagles Nest“, war erst ganz am Ende der Strecke zu sehen. Auch dieser letzte Kilometer vom Gipfel steil bergab mit dem nahen Ziel vor Augen war nochmals sehr speziell und es galt in Klettersteigmanier an Sicherungsketten über die großen Felsplatten steil bergab auf die Finishline zuzusteuern. Der Organisator begrüßte jeden Finisher persönlich. Tobert und Leinweber erreichten mit dem Sonnenuntergang überglücklich die Ziellinie. Nach 16 Stunden und 46 Minuten waren sie im Ziel; ein langer Tag im Neoprenanzug.

Pure Emotionen

Bei dieser Veranstaltung ging es nicht um Zeiten. Der Geist bestand darin, diese Strecke im Team hinter sich zu bringen und gesund ins Ziel zu kommen. Nicht aufzuhören und nicht aufzugeben, auch wenn es schwerfällt. Sich an Hitze, Kälte, Regen, Sonne, Schnee, Fjord, Bergsee anzupassen. Sich auf alle Gegebenheiten einzulassen sich mit der Natur zu verbinden. Mit gesundem Selbstvertrauen und dem Vertrauen in seinen Teampartner in diese grandiose Landschaft einzutauchen und alle Bedingungen und Herausforderungen klug zu meistern. Alle Teams spürten eine besondere Verbundenheit und Respekt vor dieser Aufgabe. Von den gestarteten 49 Teams blieben 45 Teams im Rennen. Die letzten Teams, die am letzten Punkt der gesetzten Zeitlimits (sog. „cut off“ – Punkt) noch in der vorgeschriebenen Zeit waren, benötigten im Verlaufe des Rennens ihre gesamte Zusatzausrüstung inklusive Stirnlampe. Sie kamen in die Dunkelheit und erst nach Mitternacht ins Ziel.

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